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Präventionsverfahren gem. § 167 Abs. 1 SGB IX bei Kündigungen schwerbehinderter Menschen jetzt auch in der Wartezeit erforderlich?

Bisher waren bei der Kündigung eines schwerbehinderten Menschen innerhalb der ersten sechs Monate eines Arbeitsverhältnisses keine Besonderheiten außer der Anhörung eines Betriebsrates und der Schwerbehindertenvertretung zu beachten, da der Sonderkündigungsschutz erst nach sechs Monaten eingreift. Dies könnte sich nun nach einer Entscheidung des Arbeitsgerichts Köln ändern.

Das Arbeitsgericht Köln hat am 20.12.2023 entschieden, dass zur Kündigung eines schwerbehinderten Menschen auch schon während der sechsmonatigen Probezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG die Durchführung eines Präventionsverfahrens nach § 167 Abs. 1 SGB IX notwendig ist. Andernfalls sei die Kündigung, wie im vorliegenden Fall, gem. § 134 BGB iVm § 164 Abs. 2 SGB IX rechtsunwirksam. Hiermit entschied das erstinstanzliche Gericht entgegen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG), welches ein solches Verfahren in einem anderen Fall nicht für durchführungspflichtig befand.

Der Sachverhalt stellte sich wie folgt dar:

Der u.a. aufgrund einer frühkindlichen Hirnerkrankung schwerbehinderte Arbeitnehmer (Grad der Behinderung von 80; Einzel-GdB aufgrund des Hirnschadens von 50) ging mit seiner Klage gegen die Kündigung der Arbeitgeberin, einer Kommune, vor, bei der er seit weniger als sechs Monaten als „Beschäftigter im Bauhof“ tätig war. Im Rahmen seiner Probezeit durchlief der Kläger vier verschiedene Stationen zur Einarbeitung, wobei er während der ersten beiden Stationen erhebliche Schwierigkeiten bei der Verrichtung seiner Aufgaben hatte. Für seine Arbeit in den folgenden Stationen erhielt er jedoch „hervorragendes Feedback“. Mit der Begründung, der Kläger habe sich während der Probezeit nicht bewährt und sich nicht ausreichend ins Team eingefügt, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis dann jedoch fristgerecht zum Ende der Probezeit.

Nach Ansicht des Klägers ist diese Kündigung gem. § 134 BGB unwirksam, da sie gegen das Diskriminierungsverbot des § 164 Abs. 2 S. 1 SGB IX verstoße. Hiernach darf ein Arbeitgeber schwerbehinderte Beschäftigte nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligen. Zur bestmöglichen Gleichbehandlung sieht § 167 Abs. 1 SGB IX bei drohender Kündigung die Durchführung eines Präventionsverfahrens vor, welche betriebliche Schwierigkeiten, die durch die Behinderung des Arbeitnehmers entstehen, frühzeitig erkennen und beseitigen soll. Der Kläger trägt vor, eine unangemessene Benachteiligung läge bereits in der Nichtdurchführung des Präventionsverfahrens, da dieses betriebliche Schwierigkeiten hätte beheben können, die gerade aufgrund seiner Behinderung entstanden seien.

Dem hielt die Arbeitgeberin entgegen, dass der Kläger ein solches Präventionsverfahren nie gefordert hatte und die Durchführung eines Präventionsverfahrens während der Probezeit überdies auch nicht geboten sei.

Die Kammer gab dem Kläger Recht und begründete diese Entscheidung insb. mit der unionsrechtskonformen Auslegung des § 164 Abs. 2 S. 1 SGB IX.

Nach Auffassung des Gerichts ließe sich dem Gesetz keine Regelung entnehmen, wonach ein Präventionsverfahren erst nach sechs Monaten nötig sei.

Insbesondere spreche aber die unionsrechtskonforme Auslegung des § 164 Abs. 2 S. 1 SGB IX für die Ansicht des Gerichts.

Das EU-Recht sehe vor, dass angemessene Vorkehrungen zu treffen seien, um Schwerbehinderten die Ausübung des Berufes zu ermöglichen. Außerdem sei zu beachten, dass laut der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen das Recht auf Arbeit von Schwerbehinderten gesichert und gefördert werden müsse. Hierzu zählte die Kammer auch die Durchführung eines Präventionsverfahrens.

Für den Rechtsschutz schwerbehinderter Menschen ist außerdem § 22 AGG zu beachten, welcher eine Beweislastumkehr vorsieht, weshalb dann der Arbeitgeber beweisen muss, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist.

Bereits die Nichtdurchführung des Präventionsverfahrens stelle laut dem Gericht eine ungerechtfertigte Benachteiligung des Behinderten dar.

Nach Auffassung des Gerichts wäre die Arbeitgeberin also verpflichtet gewesen, ein Präventionsverfahren durchzuführen, was sie jedoch unstreitig nicht getan hat.

Sie verstieße deshalb gegen § 164 Abs. 2 S. 1 SGB IX, weshalb die Kündigung gem. § 134 BGB unwirksam sei.

Falls der Fall das BAG erreicht, bleibt abzuwarten, ob das BAG diesem Rechtsgedanken folgt. Aufgrund des starken europarechtlichen Bezugs wäre aber auch eine Vorlage gem. § 267 AEUV an den Europäischen Gerichtshof denkbar.[1]

Praxistipp: Das AG Köln schafft mit seinem Urteil Rechtsunsicherheit. Daher empfiehlt es sich aus Arbeitgebersicht, vorsichtshalber auch schon in der Probezeit zu prüfen, ob ein Präventionsverfahren unter Einbeziehung des Integrationsamtes sowie der Schwerbehindertenvertretung durchzuführen ist, wenn beabsichtigt wird, einem Schwerbehinderten zu kündigen. Unter Umständen kann die Kündigung sonst – trotz ansonsten noch nicht bestehenden Kündigungs- und Sonderkündigungsschutzes – unwirksam sein.

(mit bestem Dank an stud. iur. Felix Riepelmeier)


[1] Anmerkung Fuhlrott, NZA-RR 2024, 166

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